Skandal, weil Frau

Skandal, weil Frau

Ikkimel und die Doppelmoral der Kritik

Vor zwei Jahren ging ihr Song Keta und Krawall durch die Decke, jetzt zählt sie zu den meistgehörten weiblichen Musikerinnen Deutschlands. Die Rede ist von Ikkimel, einer jungen Künstlerin aus Berlin.

Monatlich wird ihre Musik von über 2,2 Millionen Menschen gestreamt, ihre Konzerte sind schnell ausverkauft und auf Festivals tritt sie häufig auf der Hauptbühne auf. Doch mit dem Erfolg kommt auch eine Menge Kritik, viel davon bewusst von ihr provoziert. In ihren Texten bezeichnet sich die Berlinerin selbst als „Fotze“ und „Bitch“ und rappt hauptsächlich von Sex und Drogen. Geschickt dreht sie patriarchale Narrative um, und schlägt so provokant zurück. Vor ihrer musikalischen Karriere hat sie ihren Bachelor in Deutscher Philologie absolviert. Ihr linguistisches Geschick in ihren Texten lässt sich möglicherweise auch auf den sprachwissenschaftlichen Schwerpunkt in ihrer Ausbildung zurückführen. 

Foto: Janina Wagner / All Artists Agency

Kritisiert wird Ikkimel für die unterschiedlichsten Dinge. Angefangen bei ihrer nach außen ausgelebten Sexualität, über ihre vulgäre Wortwahl bis hin zu „Männerhass“, den sie angeblich in ihren Texten verbreite. Gemeint sind hiermit eben solche Umkehrungen sexistischer Narrative, die sonst von männlichen Kollegen gegen Frauen verwendet werden. Es ließe sich sicherlich lange und intensiv darüber diskutieren, welche Kritik nun berechtigt ist und welche aus Neid, Misogynie oder sonstigen Beweggründen heraus entsteht.

Was jedoch immer wieder auffällt ist, dass an Ikkimel als weibliche Künstlerin ganz andere, höhere Erwartungen gestellt werden als an männliche Kollegen. Insbesondere in Bezug auf Feminismus, Drogenverherrlichung oder Materialismus. 

In ihren Texten singt Ikkimel oft von Sex und Begierde – und nimmt dabei kein Blatt vor den Mund. Hierfür erntet sie am häufigsten Kritik. Jedoch ist Sex als Thema in der Musik – und im Rap allem voran – keine Seltenheit. Auch Apache 207 in Sex mit dir, Pashanim in Hentai und Capital Bra in Prinzessa machen sexuelle Anspielungen, wenn auch nicht immer genau so direkt wie Ikkimel. Darüber hinaus sind Sex und Erotik in der Kunst ein gängiges Stilmittel. Das sollte also auch akzeptiert werden, wenn es sich bei der Künstlerin um eine junge Frau handelt. 

Ein weiterer Kritikpunkt ist Ikkimels Verherrlichung von Drogenkonsum. Ketamin, Kokain und Alkohol spielen in fast allen ihren Liedern eine Rolle. In Bezug auf die Frage, welchen Einfluss Musik auf den Drogenkonsum ihrer Hörenden hat, ist sich die Wissenschaft nicht ganz einig. Hier spielen nämlich verschiedene Faktoren eine Rolle, zum Beispiel das Genre – Rap beziehungsweise HipHop hat laut einer dänischen Studie aus dem Jahr 2018 einen geringeren Einfluss auf den Zigarettenkonsum als Pop – und auch äußere Faktoren, wie das soziale Umfeld, sind mitentscheidend für die Beeinflussbarkeit der Hörenden.

Dazu kommt, dass Drogenkonsum im Rap und in der Musik genauso gängig ist wie Sex. Und das nicht nur im Gangsta Rap, auch im Mainstream Rap wird oft von Drogenkonsum gesprochen. Ein Beispiel hierfür – die Berliner Band BHZ. Allein in den drei Liedern ATZENMODUS, emma watson und UGG BOOTS wird der Konsum von MDMA, LSD, Ketamin, Kokain, Alkohol und Nikotin gefeiert. Und doch findet man, wenn man „BHZ Kritik“ bei Google eingibt, kaum Artikel, die diese Drogenverherrlichung thematisieren. Im Gegensatz zu Ikkimel, bei der die Kritik überwiegend auf den Inhalt ihrer Texte abzielt, richtet sich Kritik gegen BHZ hauptsächlich gegen die Musik als Ganzes – und das auch recht human und differenziert. Reichweite, Umfeld und Musik ähneln sich bei BHZ und Ikkimel. Doch die Erwartungen an die Künstler*innen unterscheiden sich. 

Ein dritter Kritikpunkt an Ikkimel ist, dass ihre Texte nicht feministisch genug seien. Ich würde argumentieren, dass sich bei der Interpretation ihrer Songs durchaus feministische Aspekte finden lassen. Sie zeigt, dass sie tut, was sie will, dass sie sich nicht von patriarchalen Rollenbildern zurückhalten lässt. Darüber hinaus produzieren nur wenige Musiker*innen mit einer ähnlichen Reichweite wirklich feministische Texte. Besonders in den Liedern bekannter männlicher Künstler spielt Feminismus selten eine Rolle. Der Unterschied auch hier: An diese werden nicht dieselben Erwartungen gestellt wie an Ikkimel. Um das mit ihren Worten zu sagen: „Und ist Ikkimel jetzt überhaupt noch feministisch? Auf einmal tun die kleinen Pisser so als wär′s ihn‘ wichtig.“

Ikkimel kann es also kaum richtig machen. Sie soll provokant sein, aber bitte politisch korrekt, sexuell selbstbestimmt, aber nicht zu explizit, authentisch, aber ohne Angriffsfläche. Und sie ist kein Einzelfall, sondern ein Beispiel dafür, wie ungleich Maßstäbe gesetzt werden. Weiblich gelesene Personen werden für dasselbe Verhalten weniger gelobt und mehr kritisiert. Nicht nur in der Musik, sondern in den meisten Berufsfeldern, in der Elternschaft, aber auch in einfachen, alltäglichen Situationen treffen sie auf Doppelstandards und werden nach wie vor nach anderen Maßstäben gemessen. Wir sollten also weniger darüber reden, ob eine Künstlerin „zu viel“ oder „zu wenig“ ist und mehr darüber, wieso es eine solche Diskrepanz zwischen den Bewertungen bei unterschiedlichen Genderidentitäten gibt und was wir tun können, um dem entgegenzuwirken.


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