Ein Selbstexperiment
Diese Woche ist eine besondere Woche. Das ist sie, weil ich einen Teil meiner Lebensweise komplett umstelle: Ich lebe eine Woche ganz ohne Plastikmüll zu erzeugen. Zumindest versuche ich es, denn ohne zu viel vorwegnehmen zu wollen – es war um einiges schwieriger als erwartet.
Wenn wir darüber nachdenken, wo überall Plastik im Spiel ist, hört die Liste gar nicht auf. Plastik ist aus unserem alltäglichen Leben kaum wegzudenken – und doch hat es gravierende Folgen für Umwelt und Klima. Das Umweltbundesamt zeigt in mehreren Studien, wie tiefgreifend und allgegenwärtig die Spuren von Kunststoffabfall sind.
Die Herstellung von Kunststoffen basiert größtenteils auf fossilen Rohstoffen wie Erdöl. Ihr Abbau und die Produktion von Plastik verursachen hohe Treibhausgasemissionen. Je mehr neuen Kunststoff es gibt, desto höher ist auch der Energieverbrauch und damit der CO₂-Ausstoß.
Allein in Deutschland fallen jedes Jahr knapp 6 Millionen Tonnen Kunststoffabfälle an, das ist etwa das Gewicht von 1200 Kreuzfahrtschiffen. Der Großteil der Kunststoffabfälle stammt aus dem Alltag von Verbraucher*innen – den sogenannten Post-Consumer-Abfällen. Zwar werden 99,5 Prozent dieser Mengen verwertet, doch fast zwei Drittel landen nicht im Recycling, sondern in der energetischen Verwertung, also in Müllverbrennungsanlagen. Bei der Abfallverbrennung wird der Müll in Energie umgewandelt. Was zunächst wie eine sinnvolle Energiequelle klingt, bedeutet auch: Ressourcen gehen verloren, und es entstehen große Mengen an CO₂-Emissionen.
Deshalb hebt das Umweltbundesamt hervor: Mehr werkstoffliches Recycling von Kunststoffen ist aus klimatischer Sicht der bessere Weg. Doch auch hier stößt das System an Grenzen. Zwar wurden 2023 in Deutschland knapp 1,93 Millionen Tonnen Rezyklate, also aus Recycling gewonnenes Material, in neue Produkte eingebracht – rund 80 Prozent davon stammen aus Post-Consumer-Kunststoffen. Doch die Realität dahinter sieht ernüchternd aus: Viele Kunststoffabfälle aus Haushalten sind zu stark verschmutzt oder nicht ausreichend getrennt, um zu hochwertigen Rezyklaten verarbeitet zu werden. Deshalb gelingt nur etwa ein Drittel der werkstofflichen Verwertung bei privaten Haushaltsabfällen.
Gute und genaue Mülltrennung ist also wichtig, denn durch das Recycling werden Rohstoffe ersetzt und Treibhausgase vermieden. Das Umweltbundesamt schreibt ausdrücklich: Recycling ist gut fürs Klima – je besser das Mülltrennen, desto größer der Effekt.
Besonders problematisch ist der Anteil, der gar nicht erst in den Entsorgungsanlagen ankommt. Jährlich landen laut Umweltbundesamt zwischen 150.000 und 266.000 Tonnen Kunststoff dauerhaft in der Umwelt. Ein großer Teil landet in den Meeren – dort bestehen drei Viertel des Mülls aus Kunststoff.
Im Durchschnitt treiben auf jedem Quadratkilometer Meeresoberfläche rund 13.000 Plastikmüll-Partikel. Diese Teilchen gefährden Lebensräume und führen zum Tod von über einer Million Meereslebewesen pro Jahr. Indem sie von Fischen verschluckt werden, können sie die Nahrungskette bis hin zum Menschen belasten.

Außerdem zersetzt sich Kunststoff nicht, es zerfällt in immer kleinere Partikel – Mikroplastik. Diese Partikel bleiben über Jahrhunderte erhalten und wandern durch Böden, Flüsse und die Luft. Untersuchungen des Umweltbundesamtes zeigen, dass fast alle landwirtschaftlichen Böden in Deutschland bereits Kunststoffpartikel enthalten. Mikroplastik wurde schon in allen Regionen und Ökosystemen nachgewiesen – sogar in der Antarktis, wo gar keine Menschen leben – und findet sich auch in zahlreichen Lebensmitteln und Organismen wieder. Ist Mikroplastik einmal da, lässt es sich nicht mehr entfernen. Welche Folgen diese Partikel für Bodenqualität, Grundwasser und auch für die menschliche Gesundheit haben, ist noch nicht abschließend erforscht. Doch es ist eindeutig: Das Plastik bleibt, auch wenn wir es längst weggeworfen haben.
Ich mache mich also zu Beginn der Woche auf den Weg an den Ort, an den man vielleicht als erstes denkt, wenn man plastikmüllfrei leben möchte: Ab in den Unverpacktladen! Der nächste ist mit der Tram ungefähr 30 Minuten von mir entfernt. Der Weg dahin führt auch an dem Supermarkt vorbei, der die kürzeste Entfernung zu meinem Zuhause hat. Meine Tasche klackert und klimpert. Sie ist gefüllt mit Behältern verschiedenster Größen, die ich aus den Schränken meiner WG-Küche zusammen gekramt habe. Ich betrete den Laden, er hat eine angenehme Atmosphäre und in großen Mengen stehen die verschiedensten Produkte in den Regalen. Zuerst verschaffe ich mir einen Überblick. Es scheint hier einiges zu geben, von Nudeln und Reis, über gekühlte Ware, bis hin zu Kosmetik. Bei einem Blick auf die Preise fällt sofort auf: vieles hier ist um einiges teurer. Für den Preisvergleich habe ich mir einige Produkte exemplarisch rausgepickt und mit den Preisen derselben Produkte einer Supermarkt-Billigmarke und denen eines Biomarktes verglichen. Beide Vergleiche sind wichtig, denn einerseits wählt man im Unverpacktladen ja die günstigsten, dort verfügbaren Produkte, gleichzeitig bezahlt man in den meisten Fällen auch automatisch für den Bio-Siegel, der bei den billigen Supermarktprodukten selten gegeben ist.
Mein Vergleich hat gezeigt, dass die Produkte im Supermarkt fast um die Hälfte billiger sind und sogar die Bio-Produkte aus dem Biomarkt sind noch etwa 30 Prozent günstiger als die Alternativen aus dem Unverpacktladen.
Vor dem Einkauf muss ich an der Kasse meine mitgebrachten Dosen und Gläser wiegen lassen. Dann kann es losgehen. Ich lasse Nudeln und Reis aus den transparenten Säulen in meine mitgebrachten Behälter rieseln und erfreue mich an dem angenehmen Geräusch, das dabei entsteht.
Immer wieder drehe ich den Hahn zu, um zu schauen, ob ich nicht schon genug habe. Das Abschätzen der Mengen fällt mir sehr schwer. Je nach Dosengröße kann es schnell passieren, dass man sich aus Versehen nur eine halbe Portion Nudeln abfüllt, oder Reisvorrat für ein ganzes Dorf. Im Nachhinein musste ich feststellen, dass ich meinen Hunger während des Einkaufs eher unterschätzt habe.

Ich fülle mir Zahnpasta-Kügelchen in eine der kleinen Gläser und Currypulver in ein anderes. Dann schnappe ich mir eine Hafermilch in der Glasflasche und Tofu im Glas, zahle und verlasse den Laden.
Unverpacktläden produzieren natürlich auch Plastikmüll. Indem sie ihre Ware aber meist direkt bei den Herstellern bestellen, umgehen sie Sekundär- und Tertiärverpackungen im Zwischenhandel und im Transport. Außerdem werden die Produkte in Großgebinden geliefert. Bei Nudeln und Reis sind das 25 kg pro Packung, bei Süßigkeiten 5 kg. Auf der Webseite des Unverpacktladens, in dem ich einkaufen war, steht geschrieben, dass sie bei manchen Produkten, wie Kaffee und Backwaren, schon komplette Zero-Waste-Lieferketten einrichten konnten.
Das Sortiment im Unverpacktladen ist groß, größer als erwartet. Es gibt Nudeln aller Art, Reis, Nüsse, Seife, sogar Glasreiniger zum Nachfüllen und einzelne Klopapierrollen. Aber keine frischen Tortellini, keinen Hummus, keine speziellen Gewürzpasten. Und auch die Obst- und Gemüseabteilung ist nicht besonders groß. Das ergibt Sinn, denn Obst und Gemüse kann man im Supermarkt schon ohne Plastikverpackung einkaufen. Und nicht nur das, auch Nüsse und Backwaren, Mehl und Zucker, Tee und manchmal sogar Nudel findet man verpackungslos oder in Papier eingepackt. Soßen, Eingelegtes, Fertignahrung und vieles mehr gibt es in Dosen oder Gläsern zu kaufen. Es ist deshalb verständlich, dass sich der Unverpacktladen vor allem auf die Produkte konzentriert, die man sonst nicht unverpackt finden kann. Trotzdem wirft das für mich ein neues Problem auf: die Zeit. Wenn ich jetzt zum Einkaufen sowohl in den Unverpacktladen gehen muss, weil es im Supermarkt vieles nur in Plastik gibt, als auch in den Supermarkt, weil es im Unverpacktladen nicht alles gibt, dann dauert mein Einkauf doppelt so lange. Der Einkaufszettel wird zur Stadtrallye.
Am Abend putze ich meine Zähne mit einer Bambus-Zahnbürste und den kleinen Zahnpasta-Kügelchen aus dem Unverpacktladen. Es fühlt sich zwar erstmal merkwürdig an, wie sich die trockenen Kügelchen langsam beim Kauen zu einer Art Paste auflösen, schäumt und schmeckt dann aber genauso gut wie gewöhnliche Zahnpasta.
Unter der Woche gehe ich mittags immer in die Mensa, die direkt neben der Bibliothek liegt, in der ich meine Uniaufgaben abarbeite. Darauf wollte ich auch in dieser Woche nicht verzichten, denn die Mensa spart mir viel Geld und Arbeit und die Alternativen wären entweder eine weitere kalte Mahlzeit bei Rewe – vorausgesetzt ich finde etwas plastikfreies zum Sofortverzehr – und überteuerten Restaurantgerichten.
Auf meinem Mensatablett ist kein Plastik sichtbar. Aber hinter dem Tresen, in den Küchen, schaffen andere Hände die Verpackungen beiseite. Statt 20 kleinen Sauce-Tütchen gibt es dort 10-Liter-Eimer Mayonnaise, statt fünf Nudelverpackungen einen 5-Kilo-Sack in Folie. Pro Portion entsteht vermutlich weniger Müll, weil Großgebinde effizienter sind. Doch ganz ohne Plastik läuft es nicht. Mein Teller sieht sauber aus – meine Plastikbilanz ist im Grunde nur ausgelagert.
Am vierten Abend habe ich Freund*innen zu Besuch. Der Kühlschrank ist leer, weil ich es vorher nicht noch einmal zum Unverpacktladen geschafft habe. Pizza bestellen, denken wir. Immerhin: Pappe statt Plastik. Als der Karton kommt, glänzt die Innenseite leicht. Beschichtet. Wieder Plastik – hauchdünn, aber da. Der Karton wandert später nicht ins Altpapier, sondern in den Restmüll. Ich wollte einen plastikfreien Ausweg, eine Erleichterung finden, doch auch hier wieder die Lehre: Auswärts essen, oder bestellen, ist kein Joker, sondern nur eine Verlagerung. Die Köch*innen entscheiden über Gebinde, Folien und Einwegartikel.
Zwischen Arbeit und Uni wird mein Selbstexperiment zu einer logistischen Knobelaufgabe. Gläser und Behälter zur Vorbereitung auf den nächsten Einkauf spülen, Einkaufszettel schreiben, Wege koordinieren. Spontanität war einmal, ich lerne, Vorräte strategisch zu Planen und scheitere trotzdem an Kleinigkeiten: Müsli? Gibt es lose, aber die Lieblingsmischung nicht. Tofu? Nur Natur, nicht geräuchert. Snacks? Ja, aber nur Kekse und Nüsse, keine süßen Gummibärchen. Immer wieder kleine Schranken, die meine spezielleren Wünsche von ihrer Erfüllung trennen.
Gleichzeitig spüre ich, dass mir das ritualisierte Einkaufen guttut und dass spontane, last-minute Supermarkttrips wegfallen, die mir sonst auch hauptsächlich Stress eingebracht haben. Einkaufen kostet Zeit, aber sobald man sich diese nimmt, schafft es Ruhe und hilft dabei, sich auf den Moment zu fokussieren.
Der Selbstversuch ist weniger eine Woche ohne Plastik als eine Woche mit offenen Augen. Ich sehe die dünnen Schichten, die unsichtbaren Folien, die versteckten Verpackungen in Küchen und Lieferketten. Mir fällt auf, was ich sonst ignoriere: Wie verankert Plastik in meinem Alltag ist. Ich sehe aber auch die strukturellen Hürden: Preisaufschläge für unverpackte Ware, dünne Sortimente und weite Wege. Ich kann mich anstrengen und meine persönliche Müllproduktion verringern, stoße dabei aber an so viele Grenzen – Grenzen, die auf Entscheidungen der Regierung und der Supermärkte hin entstehen.
Die Verantwortung für Plastikverbrauch wird zu sehr auf die Konsumierenden abgeladen. Der Appell an umweltschonende, plastikfreie Entscheidungen im Alltag übersieht, wie viel Infrastruktur fehlt. Er übersieht auch, dass die entscheidenden Entscheidungen über Verpackungen vor meinem Einkauf stattfinden – in Beschaffung, Produktion und Handel und in Richtlinien. Ich kann die bessere Option wählen, wenn sie da ist. Aber ob sie da ist, bestimmen andere. Und eine bessere Option ist auch nur eine, die bezahlbar ist und nicht mit großem Verzicht einhergeht.



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